Meine erste Auseinandersetzung mit der Tradition

Das Yoga Sutra von Patanjali ist ein zentraler Text der yogischen Schriften. Der Leitfaden besteht aus 195 Sanskrit Versen und wurde ca. 400. n Christus verfasst. Er ist einer der ältesten Überlieferungen der Yogatradition. Die Verse sind, wie es das Wort Leitfaden schon sagt, sehr knapp gehalten, so dass es für Interpretationen ein großen Spielraum gibt. Das sieht man auch an den vielen Übersetzungen und Kommentaren zu dem Buch. Anders gesagt: Man braucht als Yogaschüler für den Leitfaden auch einen erfahrenen Lehrer, der mit seinem Wissen die Worte mit Leben füllt.

Qualitäten der Yogapraxis

Im ersten Kapitel werden -zunächst allgemeiner- Yoga, der Geist und seine Aktivitäten, sowie die Hindernisse auf dem Weg zu Klarheit thematisiert. Das zweite Kapitel steigt mit den drei Qualitäten ein, welche die Yogapraxis vereinen soll:

  • Klärung
  • Selbstreflexion
  • Grenzen erkennen

Die Klärung hat zum Ziel, dass sich Hindernisse im Geist sowie körperliche Blockaden reduzieren. Mit dem Prozess der Klärung und Reinigung sollen wir uns selbst näher kommen, uns fördern und helfen Dinge zu verstehen. So können wir Probleme und deren Ursachen erkennen (Selbstreflexion) und sie schließlich verringern, wodurch wir uns mit unserem Innersten verbinden und das Gespür für die Qualität unserer Handlungen zunimmt (Selbstreflexion und Bewusstsein für Grenzen). Klarheit und Aufmerksamkeit in der Yogapraxis stärken unser Bewusstsein für Handlungen und deren Folgen.
Klingt ja schön und gut, doch das Problem dabei sind die klesa: fünf Hindernisse, die tief in uns verankert sind und so die Wahrnehmung verfälschen, was zu Unzufriedenheit, Leid oder Gefühlen von Enge führt. Die fünf klesa, deren Ursprung das falsche Verstehen ist, treten unterschiedlich stark auf und sie zu erkennen bzw. zu „überwinden“ ist Aufgabe und Ziel.

klesa – die fünf Hindernisse

1. Falsches Verstehen
…ist, wenn wir Dinge anders wahrnehmen oder verstehen als sind. Vergängliches wird so für ewig gehalten oder Unreines für rein – und dies führt zu oberflächlichem und fehlerhaftem Verständnis des Charakters, des Ursprungs und der Auswirkungen dessen, was wir wahrnehmen.
Das falsche Verstehen beeinflusst logischer Weise die Wahrnehmung, welche ausschlaggebend für die Handlung ist. Somit sind ungewünschte Folgen, wie entstehende oder verstärkte Probleme, oft das Ergebnis. Hier wünschen wir bzw. arbeiten wir an Klarheit, welche hilft, den Ursprung des Tuns und seine Folgen zu erkennen.

2. Irrtümliches oder falsches Verständnis von uns selbst

…bedrohen uns ständig. Unsere Haltungen, Gefühle, Gedanken, die Rolle im Alltag – all das verändert sich ständig; beeinflusst durch die Umwelt und die eigene Stimmung. Alles unterliegt dem Wandel, dennoch denkt man oft es sei unveränderlich.
Wir sträuben uns  Veränderungen zu erkennen und ganz besonders sie anzunehmen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, er hängt an alten Mustern im Handeln und im  Verhalten. Oft hängt man an eingefahrene Strategien, die man selbst mit dem Bewusstsein dafür nur schwer durchbricht.

3. Drängendes  Verlagen
… begründet sich aus freudvollen Erfahrungen. Man empfand Glück in einer bestimmten Situation oder beim Kauf eines Gegenstandes und will dieses wieder erfahren. Wir denken, man könne das Gefühl so fest- oder beibehalten.

4. Unbegründete Abneigung
…empfinden wir durch leidvolle Erfahrungen aus der Vergangenheit Diese sitzen fest in uns fest und so kommen diese negativen Gefühle immer zum Vorschein, wenn uns ein Ort, eine Person oder eine Situation an das Erlebte von damals erinnert.

5.  Unsicherheit
…ist ein angeborenes Angstgefühl, dem sich eigentlich niemand entziehen kann. Angst vor der Zukunft, die Ungewissheit vor Kommenden und auch dem Tod, sind am schwersten zu überwinden.

Der 8-gliedrige Pfad

Für den Prozess zum Erlangen der Klarheit bzw. zum schrittweisen Lösen der Blockaden, werden die acht Glieder des Yogawegs vorgestellt:

Yama: Handeln gegenüber unserer Umgebung
Niyama:  Haltung gegenüber uns selbst
Asanas: Praxis der Körperübungen
Pranayama: Praxis der Atemübungen
Praryahara: Nach-Innen-Richten bzw. Rückzug der Sinne
Dharana: Fähigkeit, unseren Geist auszurichten;  Konzentration
Dharana: Fähigkeit, unseren Geist kontinuierlich in einer Verbindung mit dem, was
wir verstehen wollen, verweilen lassen; Meditation
Smadhi: Vollkommene Vereinigung mit einem Objekt, das wir verstehen wollen;
Erleuchtung

Diese Reihenfolge geht von einer Beziehung zu außen bis zu einer tiefen innersten Verbindung. Aber es heißt nicht, dass man in der Reihe Yoga üben muss und alle Glieder sofort angehen oder gar komplett umsetzen können soll.
Schauen wir uns die Glieder 1-5 näher und dennoch sehr oberflächlich gehalten einmal an:

Yama

Yama sind die Regeln im Umgang mit anderen. Man möchte ein überlegtes und behutsames Umgehen mit allem was lebt anstreben, eine aufrichtige Verständigung sowie das Nichtbegehren und das sich Beschränken.
Große Stichwörter sind hier z.B: Gewaltlosigkeit, Ehrlichkeit, Nicht stehlen.
Das soziale Umfeld, die Religion sowie die Kultur, als auch der Charakter prägen das Verhalten und machen die individuelle Haltung gegenüber der Umgebung sehr verschieden.
Halte dir immer vor Augen: Die Umgehensweise mit anderen und der Umwelt spiegelt den Zustand des Geistes und der Persönlichkeit wider.
„Was du denkst, bist du. Was du bist, strahlst du aus. Was du ausstrahlst, ziehst du an.“ – Buddha

Niyama
Niyama steht für

  • Reinheit, im Körper und Geist
  • Bescheidenheit
  • Zufriedenheit
  • Lösen von Blockaden, ebenfalls im Körper und Geist und mit Hilfe Asanas, Pranayama, Ernährung, Schlaf, Arbeit & Erholung
  • Studieren und Prüfen der Entwicklung, Ehrfurcht gegenüber höherer Kraft.

Wenn wir im Konflikt sind und es darum geht wie man sich verhalten soll, ist der Rat: sich verschiedene Lösungswege vorstellen, abwägen und erwartete Auswirkungen betrachten. Man soll innehalten und sich die Folgen, die oftmals klar sind/ werden, bewusst machen. Oft handelt man aus Gier, Ärger oder fehlerhaften Einschätzen falsch. Ergebnisse sind z.B. leidvolle Gefühle oder weitere Missverständnisse.

Es werden Merkmale solcher Menschen genannt, die nach Yama und Niyama leben, wie:
Keine Fehler im Handeln, das Vertrauen von anderen Menschen geschenkt bekommen, Zeit für sich und zum Nachdenken haben, Verständnis für sich, keine übertriebene Beschäftigung oder Sorge um das eigene Äußere.
Man ist mit sich und dem was man hat zufrieden. Zufriedenheit, die Glück bedeutet.

Ein Sutra sagt: „Je behutsamer ein Mensch handelt, desto mehr werden andere Menschen in seiner Gegenwart liebevolle Gefühle haben.“
Diesen Punkt fand ich besonders schön, da ich sofort an meine Yogalehrerin denken muss. In ihrer ganzen Art, mit dem was sie wie sagt gewinnt sie ihre Schüler.  Zudem hat sie einen sehr bewussten und behutsamen Umgang mit dem Körper.

Asana
Die Körperübungen sollen in gleichem Maße Stabilität und Leichtigkeit vereinen: Keine Verspannung, aber auch keine Entspannung mit Trägheit oder Schwere. Der Yogapraktizierende soll und wird lernen seinen Körper zu beobachten und die Reaktionen zu kennen und zu deuten. Dazu zählt auch der Atem. Schritt für Schritt wird der Umgang mit Körper und Atem gelernt.
Unstimmigkeiten im Geist finden körperlich ihre Ausdrucksformen. Die Asanas helfen die klesa auf körperlicher Ebene zu verringern. Wenn man beispielsweise Verspannungen im Rücken oder Nackenbereich hat, dann ist auch der Geist davon besetzt. Wenn dank Asanas Schmerzen und so die körperlichen Blockaden gelöst sind, ist der Geist freier, klarer und kann sich damit beschäftigen nach Ursachen für Schmerzen zu suchen.

Pranayama
Der Atem verändert sich entsprechend dem Zustand von Geist und Körper. Das Wissen über den Atem wird durch die Asanas erweitert. Die Übungen sind die Basis für Pranayama.
Pranayma ist das Durchbrechen gewohnter (unbewusster) Atemmuster und so eine bewusste Regulierung der Atmung. Der Geist wird auf den Atem ausgerichtet und damit vorbereitet für den Prozess sich auf ein gewähltes Ziel auszurichten.

Pratyahra

Dieser Pfad soll zur Kontrolle der Sinne führen. Es ist ein Zustand, der sich als Ergebnis aus einer guten Praxis von Asanas und Pranayama entwickelt. Hier folgen die Sinne dem Geist und seiner Ausrichtung und sind nicht von den uns umgebenden Objekten abgelenkt. Damit können die Sinne nicht mehr Ursache für Ablenkung sein und stehen ganz einem selbst zur Verfügung und das Ziel, auf das man sich ausgerichtet hat wird klar(er) zu erkennen.

„Fazit“: Diese Glieder, wie geschrieben, helfen das Wirken der klesa zu erkennen und zu vermindern. Verstehen von komplexen Dingen wird möglich. Blockaden körperlicher und geistiger Natur werden gelöst und körperliche Funktionen gelangen in ein harmonisches Gleichgewicht. So werden allgemein gesagt auch körperliche und geistige Einschränkungen und Krankheiten vermindert und vorgebeugt.

Sutras im Alltag

Über all diese Punkte kann man eigene Aufsätze schreiben, das Wichtige dann ist jedoch auch, sich selbst mehr damit zu beschäftigen, zu philosophieren. Ein paar Dinge, ich damals direkt als Inspiration für mich mitgenommen habe, möchte ich hier gerne mit euch teilen:
Ich versuche im Alltag mehr zu überlegen bevor ich handle – bzw. konkret: antworte. Das gelingt mir in einem persönlichen Gespräch nicht immer, klar… Einfacher ist es bei Emails oder innerhalb der sozialen Medien. Ich denke dabei nicht in erster Linie an belanglosen Austausch, mehr wenn es um kleine Meinungsverschiedenheiten, Diskussionen oder kritische Dinge sowie Neckereien geht. Ich antworte dann erstmal nicht, fühle was das Geschriebene mit mir macht, überlege wie es wohl wirklich gemeint war und was für welche Auswirkungen meine möglichen Antworten hätten. Also was bringt es mir, wie geht es meinem Gegenüber damit. Wie wird das Gefühl danach sein? Löse ich damit tiefere Emotionen aus? Ich habe dann oft erst einen halben oder mehr als einen Tag später geantwortet und diese Antwort ist dann ganz ausgefallen als alles was mir im ersten Moment in den Kopf geschossen ist.

Der Umgang mit uns selbst. Ein guter Punkt. Selbstreflexion ist im Yoga sowie in allen täglichen Handlungen wichtig. Ich denke, ich kann mich sehr gut einschätzen und Dinge an meinem Handeln oder eben in meiner Yoga-Praxis gut reflektieren. Allgemein laufe ich aber Gefahr mich je nach Situation/ Lebensbereich zu streng oder zu negativ zu beurteilen.
Im Yoga kenne ich meine Grenzen recht gut, ich weiß was möglich ist und was weniger, was ich mag oder was mir schwerer fällt. Aber mit mir – meinem Körper & Geist- geduldig zu sein, ist manchmal leichter und mal schwerer. Zwar weiß ich ganz klar, dass vieles Zeit braucht, aber…

Nicht nur durch meine bisherige Yogapraxis und dem Tanzen, sondern auch dank Gesang sowie damaligen Atem/Sprechtechnik-Unterricht, kenne ich verschiedene Wege zu atmen bzw. unsere Atemräume. Doch seitdem ich mich nun im Yoga mehr mit Pranayama beschäftige und auch die „Auswirkungen“ von verschiedenen Atemübungen besser kenne, versuche ich es mir auch im Alltag öfters mal zu Nutze zu machen.